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Leitbild Reduktion : Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945 bis 1950
In sprachlichen Beiträgen zur Architektur des 20. Jahrhunderts tauchen immer wieder Formulierungen auf, in denen ein "bescheidenes Haus" oder eine "einfache Architektur" gefordert werden. Reduktion bildet eine Kategorie der Moderne, und es stellt sich die Frage, ob Reduktion nicht sogar ein Schlüssel für das Verständnis der Architektur in der Moderne ist. Eine Antwort auf diese Frage zielt in der vorliegenden Arbeit darauf, dass sich am Leitbild der Reduktion die Spaltung zwischen einer dominanten Rationalität, einem aufklärerischen Geist, einer wachsenden Bedeutung von Technik und den Naturwissenschaften als einem Kennzeichen der Moderne, und einem zunehmend verdrängten und dann doch wieder kompensierten Bedürfnis nach dem "Geistigen" festmacht. Das Streben nach Reduktion in der modernen Architektur könnte daher so etwas wie eine Versöhnungsgeste sein. Mittels Reduktion sollen dialektische Spannungen in der Moderne, soll das menschliche Vermögen der Aufklärung und Rationalität mit dem menschlichen Bedürfnis nach Religiosität und Spiritualität überbrückt werden. Um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen, wird exemplarisch die Bauaufgabe des Kirchenbaus in einer kurzen Phase der Nachkriegszeit in Deutschland betrachtet, da sich hier unterschiedliche Dimensionen des formulierten Anspruchs aufzeigen lassen. Der Kirchenbau wurde vor allem deshalb gewählt, weil die Kirchen und die Kirchenbauten in dieser Phase als Leitinstitutionen bzw. Leitbauten für ein sich konstituierendes Deutschland wirksam waren. Denn Reduktion stand weniger in Relation zur materiellen und ökonomischen Not. Noch stärker wurde nämlich eine geistige Not beklagt, aus der sich weitere Dimensionen der Reduktion betrachten lassen. Insbesondere sind die ethischen und ästhetischen Dimensionen interessant, da, wie auch in den Jahrzehnten zuvor, eine asymmetrische Verlagerung der Argumentation zugunsten ethischer Erklärungen zu attestieren ist. Waren es Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings starke soziale Motivationen und Intentionen, für die Reduktion ins Feld geführt wurde, gab es durch die Nähe zu religiösen Inhalten und einer Dominanz der Kirche für eine kurze Phase nach dem Krieg eine moralische Argumentationslinie, mit der die jeweilige architektonische Arbeit untermauert wurde. Daraus läßt sich Reduktion für diese Zeitspanne als Reaktion und Legitimation verstehen. Durch die moralische Dimension der Reduktion, - die Katharsis, Reinigung, Demut und Bescheidenheit - konnte die Situation überwunden werden und zugleich wurde damit eine Antwort auf Schuldfragen gegeben. Diese Erklärungsmuster waren die naheliegende und einzige Chance, um überhaupt aus der geistigen Misere herauszukommen und eine Berechtigung zu schaffen, mit der ein Neubeginn möglich werden konnte. Obendrein konnte es als Reaktion auf Pathos und Verlogenheit des Nationalsozialismus interpretiert werden. Diese originär religiöse Legitimationsebene für einen geistigen Neuanfang wurde auch von Architekten übernommen und auf die Architektur übertragen. Reduktion legitimierte den Einsatz von Architektur, ohne vertiefend eine retrospektive Verantwortung der Architekten zu thematisieren, die stattdessen mit einer prospektiven Verantwortung überblendet wurde. In diese Sichtweise fügte sich mit den Werten der Reduktion (Einfachheit, Nüchternheit, Sachlichkeit, ...) ein umfassendes Leitbild für die Menschen und die Umweltgestaltung, das eine adäquate Perspektive bieten konnte. In dieser kurzen Zeitspanne, die sich auf den Zeitraum von 1945 bis ungefähr 1950 zuweisen läßt, ergab sich folglich eine allgemeingültige Frage: Wie lassen sich in einer Phase der Neuorientierung die formulierten Werte in eine architektonische Praxis überführen? Von daher versteht sich diese Arbeit neben ihrem architekturhistorischen Schwerpunkt auch als der Versuch, einer grundsätzlichen architekturtheoretischen Fragestellung nachzugehen. Mit der spezifischen Betrachtung des Kirchenbaus verbindet sich eine architekturhistorische Einordnung der Beiträge für die Entwicklungen im Kirchenbau des 20. Jahrhunderts. Denn die aufgeführten Beiträge gaben Impulse für zwei wesentliche Aspekte der jüngeren Kirchenbaugeschichte, die in dieser Form bislang kaum Beachtung fanden und damit eine historische Lücke füllen. Zum einen fügen sich die Beiträge in die liturgischen Erneuerungsansätze beider Konfessionen in der Moderne ein und eröffnen dadurch eine etwas andersartige Sichtweise auf die Entwicklungen im Kirchenbauten in den nachfolgenden Dekaden. Zum anderen geben sie Antworten auf die stete Frage, wodurch ein Kirchenbau in der Moderne seine notwendige Sakralität erhält. Beide Aspekte werden durch die grundsätzliche Frage verbunden, wie die Menschen einer sich neu konstituierenden Gesellschaft, gegen die durch Säkularisierung gekennzeichneten Moderne, wieder von der christlichen Religiosität erfasst werden können und die Lebenswelt wieder von ihr durchdrungen werden kann.
Leitbild Reduktion : Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945 bis 1950
In sprachlichen Beiträgen zur Architektur des 20. Jahrhunderts tauchen immer wieder Formulierungen auf, in denen ein "bescheidenes Haus" oder eine "einfache Architektur" gefordert werden. Reduktion bildet eine Kategorie der Moderne, und es stellt sich die Frage, ob Reduktion nicht sogar ein Schlüssel für das Verständnis der Architektur in der Moderne ist. Eine Antwort auf diese Frage zielt in der vorliegenden Arbeit darauf, dass sich am Leitbild der Reduktion die Spaltung zwischen einer dominanten Rationalität, einem aufklärerischen Geist, einer wachsenden Bedeutung von Technik und den Naturwissenschaften als einem Kennzeichen der Moderne, und einem zunehmend verdrängten und dann doch wieder kompensierten Bedürfnis nach dem "Geistigen" festmacht. Das Streben nach Reduktion in der modernen Architektur könnte daher so etwas wie eine Versöhnungsgeste sein. Mittels Reduktion sollen dialektische Spannungen in der Moderne, soll das menschliche Vermögen der Aufklärung und Rationalität mit dem menschlichen Bedürfnis nach Religiosität und Spiritualität überbrückt werden. Um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen, wird exemplarisch die Bauaufgabe des Kirchenbaus in einer kurzen Phase der Nachkriegszeit in Deutschland betrachtet, da sich hier unterschiedliche Dimensionen des formulierten Anspruchs aufzeigen lassen. Der Kirchenbau wurde vor allem deshalb gewählt, weil die Kirchen und die Kirchenbauten in dieser Phase als Leitinstitutionen bzw. Leitbauten für ein sich konstituierendes Deutschland wirksam waren. Denn Reduktion stand weniger in Relation zur materiellen und ökonomischen Not. Noch stärker wurde nämlich eine geistige Not beklagt, aus der sich weitere Dimensionen der Reduktion betrachten lassen. Insbesondere sind die ethischen und ästhetischen Dimensionen interessant, da, wie auch in den Jahrzehnten zuvor, eine asymmetrische Verlagerung der Argumentation zugunsten ethischer Erklärungen zu attestieren ist. Waren es Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings starke soziale Motivationen und Intentionen, für die Reduktion ins Feld geführt wurde, gab es durch die Nähe zu religiösen Inhalten und einer Dominanz der Kirche für eine kurze Phase nach dem Krieg eine moralische Argumentationslinie, mit der die jeweilige architektonische Arbeit untermauert wurde. Daraus läßt sich Reduktion für diese Zeitspanne als Reaktion und Legitimation verstehen. Durch die moralische Dimension der Reduktion, - die Katharsis, Reinigung, Demut und Bescheidenheit - konnte die Situation überwunden werden und zugleich wurde damit eine Antwort auf Schuldfragen gegeben. Diese Erklärungsmuster waren die naheliegende und einzige Chance, um überhaupt aus der geistigen Misere herauszukommen und eine Berechtigung zu schaffen, mit der ein Neubeginn möglich werden konnte. Obendrein konnte es als Reaktion auf Pathos und Verlogenheit des Nationalsozialismus interpretiert werden. Diese originär religiöse Legitimationsebene für einen geistigen Neuanfang wurde auch von Architekten übernommen und auf die Architektur übertragen. Reduktion legitimierte den Einsatz von Architektur, ohne vertiefend eine retrospektive Verantwortung der Architekten zu thematisieren, die stattdessen mit einer prospektiven Verantwortung überblendet wurde. In diese Sichtweise fügte sich mit den Werten der Reduktion (Einfachheit, Nüchternheit, Sachlichkeit, ...) ein umfassendes Leitbild für die Menschen und die Umweltgestaltung, das eine adäquate Perspektive bieten konnte. In dieser kurzen Zeitspanne, die sich auf den Zeitraum von 1945 bis ungefähr 1950 zuweisen läßt, ergab sich folglich eine allgemeingültige Frage: Wie lassen sich in einer Phase der Neuorientierung die formulierten Werte in eine architektonische Praxis überführen? Von daher versteht sich diese Arbeit neben ihrem architekturhistorischen Schwerpunkt auch als der Versuch, einer grundsätzlichen architekturtheoretischen Fragestellung nachzugehen. Mit der spezifischen Betrachtung des Kirchenbaus verbindet sich eine architekturhistorische Einordnung der Beiträge für die Entwicklungen im Kirchenbau des 20. Jahrhunderts. Denn die aufgeführten Beiträge gaben Impulse für zwei wesentliche Aspekte der jüngeren Kirchenbaugeschichte, die in dieser Form bislang kaum Beachtung fanden und damit eine historische Lücke füllen. Zum einen fügen sich die Beiträge in die liturgischen Erneuerungsansätze beider Konfessionen in der Moderne ein und eröffnen dadurch eine etwas andersartige Sichtweise auf die Entwicklungen im Kirchenbauten in den nachfolgenden Dekaden. Zum anderen geben sie Antworten auf die stete Frage, wodurch ein Kirchenbau in der Moderne seine notwendige Sakralität erhält. Beide Aspekte werden durch die grundsätzliche Frage verbunden, wie die Menschen einer sich neu konstituierenden Gesellschaft, gegen die durch Säkularisierung gekennzeichneten Moderne, wieder von der christlichen Religiosität erfasst werden können und die Lebenswelt wieder von ihr durchdrungen werden kann.
Leitbild Reduktion : Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945 bis 1950
The Leitbild of reduction : contributions ecclesiastical architecture in Germany from 1945 - 1950
Pantle, Ulrich (author) / Universität Stuttgart (host institution)
2003
Miscellaneous
Electronic Resource
German
DDC:
720
Leitbild Reduktion : Beiträge zum Kirchenbau in Deutschland von 1945 bis 1950
UB Braunschweig | 2003
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|Europaischer Kirchenbau 1900-1950
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Europäischer Kirchenbau 1950 - 2000
UB Braunschweig | 2002
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